Fragen und Antworten

1. Wie erkennt man selektiven Mutismus?
Selektiver Mutismus ist eine eher seltene Kommunikationsstörung, die im Kindesalter beginnt. Während betroffene Kinder in vertrauter Umgebung ganz unbefangen und problemlos sprechen, verstummen sie ausser Haus und gegenüber „fremden“ Personen. Oft tritt das Schweigen erstmals im Kindergarten oder in der Schule deutlich auf und ist häufig mit Ängstlichkeit und Rückzug verbunden. Der Selektive Mutismus wird teils erst spät erkannt und das Schweigen der Kinder als Schüchternheit fehlinterpretiert.


2. Woher kommt selektiver Mutismus? Welche Ursachen?
Es sind keine klaren Ursachen bekannt, jedoch Faktoren die selektiven Mutismus begünstigen können. Dazu gehören:

- Biologische Anlagen: Persönlichkeitsmerkmale wie Schüchternheit, Ängstlichkeit, gehemmtes Temperament
- Sprachentwicklungsstörungen
- Mehrsprachigkeit, teilweise verbunden mit Migration und Leben in fremder Kultur
- Überforderung in Übergangssituationen wie der Beginn der Kindergartenzeit
- Modellernen und familiäre Muster


3. Wer diagnostiziert selektiven Mutismus?
Die Diagnose kann gestellt werden durch Kinderärzt*innen, Psycholog*innen, Psychiater*innen und Logopäd*innen.


4. Wer therapiert selektiven Mutismus?
Therapien werden durch Logopäd*innen, Psychotherapeut*innen und Psychiater*innen durchgeführt.


5. Wie lange dauert eine Therapie?
Wie lange die therapeutische Begleitung dauert, ist individuell sehr unterschiedlich und hängt unter anderem von Faktoren ab wie Ausprägung des Mutismus, Alter beim erstmaligen Auftreten oder auch Dauer bis mit der Behandlung begonnen wird. Eine frühzeitige Diagnose und Intervention sind wichtig, damit sich das schweigende Verhalten nicht weiter festigt. Die Auswirkungen auf die soziale und berufliche Entwicklung können gravierend sein.


6. Wann ist eine Abklärung indiziert?
Der selektive Mutismus zeigt sich in der Regel während eines Übergangs von einem vertrauen Ort oder Personengruppe in einen neuen sozialen Kontext. Es gehört zum normalen Verhalten eines Kindergartenkindes oder Erstklässlers, in den ersten Monaten mit Schüchternheit und Schweigen zu reagieren. Wenn dies über einen Zeitraum von drei Monaten hinaus unverändert anhält und drei oder mehr der folgenden Fragen mit „Nein“ beantwortet werden müssen, ist es ratsam, eine fachliche Diagnostik vorzunehmen:

- Zeigt das Kind ein allgemein unbeschwertes Verhalten?
- Befindet sich das Kind noch in einer Eingewöhnungsphase an die Abläufe?
- Sind Situationen auszumachen, in denen das Kind sich eher wohl und entspannt fühlt, z.B. wenn es alleine oder mit einzelnen Kindern spielt, sich unbeobachtet fühlt?
- Nimmt das Kind Anteil am Geschehen? Lacht es mit, macht es sonstige Körpergeräusche?
- Gibt das Kind Lautmalereien beim Spielen von sich wie z.B. „brr“ beim Autofahren, Schnalzen, wenn mit einem Pferd gespielt wird, „Peng“, wenn geschossen wird, Fauchen beim Spiel mit Tigerfiguren?
- Kommuniziert es nonverbal? Wenn ja, mit wem und in welchen Situationen?
- Sind vielleicht nur ritualisierte Situationen wie Morgenkreis oder Frontalunterricht mit Meldepflicht betroffen?
- Ist eine Entwicklung und Entspannung seit dem Anfang auszumachen?


7. Ist selektiver Mutismus heilbar?
Wächst sich selektiver Mutismus aus? Eine Therapie ist oft erfolgreich und bringt eine Verbesserung der Problematik. Wenn Betroffene auch im Erwachsenenalter meist noch eher zurückhaltend sind, gelingt es ihnen doch, unbefangener zu sprechen.
In manchen Fällen scheint sich selektiver Mutismus bis zum Erwachsenenalter von selbst auszuwachsen. Fachleute sind sich jedoch einig, dass eine möglichst frühe therapeutische Behandlung wichtig ist, damit das Schweigen sich nicht verfestigt und so das Selbstvertrauen des Kindes geschwächt wird.


8. Sind die Eltern schuld?
Weder die Eltern noch die Kinder selbst tragen Schuld an der Entstehung des selektiven Mutismus. Eltern tun in der Regel in ihrer besten Absicht alles für das Kind, was ihnen zu dieser Zeit mit ihrem Wissen, ihren Fähigkeiten und in ihren Umständen und Einschränkungen möglich ist. Egal welche Störung ein Kind entwickelt, es trifft sie somit keine Schuld.
Bei der Entstehung des selektiven Mutismus (wie auch bei anderen Störungsbildern) sind mehrere Faktoren beteiligt, die nicht immer alle geklärt werden können. Wichtig ist, dass die Eltern und das Umfeld reagieren und sich Unterstützung holen, wenn Schwierigkeiten beim Kind auffallen.


9. Was hilft in der Schule?
Für Lehrpersonen ist es oft nicht einfach und sie fragen sich, wie sie sich gegenüber dem mutistischen Kind verhalten sollen. Wichtig ist auch für sie, sich bei Bedarf Beratung bei einer Fachperson zu holen. Hier einige wichtige Punkte, die hilfreich sein können:

- Die Schule/das Klassenzimmer sollte als „sicherer Ort“ wahrgenommen werden können, das mutistische Kind soll sich also möglichst wohl und sicher fühlen können. Sorgen Sie für eine tragfähige Beziehung.
- Deuten Sie das Schweigen nicht als persönliche Provokation oder als Ablehnung der eigenen Person. Sehen Sie es für das Kind als sinnvolle Strategie in Anbetracht seiner Angst.
- Zeigen Sie Geduld und Ausdauer, ermutigen Sie („du schaffst das“).
- Bauen Sie keinen Druck auf und lassen Sie sich durch Schweigen nicht selbst unter Druck setzen.
- Bieten Sie Unterstützung im Bereich des Sozialverhaltens, z.B. bei Gruppenarbeiten, in der Pause, etc. an.
- Binden Sie das Kind möglichst ein, fördern Sie seine Selbstwirksamkeit (Ämtli, Aufgaben erteilen).
- Bieten Sie Hilfe zum Kommunizieren – nonverbale Möglichkeiten kreativ einsetzen, Audioaufnahmen nutzen.- Thematisieren Sie Mutismus in der Klasse:  Austausch über Ängste, Emotionen fördern.

Sonderschule, Nachteilsausgleich, individuelle Lernziele sind Möglichkeiten, die jedoch nicht immer zielführend sind und daher gut im Einzelfall abgewogen werden müssen.


10. Können mutistische Kinder und Jugendliche nicht sprechen oder wollen sie nicht sprechen?
Betroffene wollen in der Regel sprechen und leiden darunter, dass ihnen dies nicht gelingt. Sie sind in ihrer Angst gefangen, werden durch diese blockiert und können sie nicht überwinden. Dies ist für viele mit einem grossen Schamgefühl verbunden und äussert sich langfristig oft in einer Selbstwertproblematik, welche die Symptome eher noch verstärkt.


11. Abgrenzung Autismus / Mutismus
Selektiver Mutismus wird den Angststörungen zugeordnet und beginnt in der Kindheit und Jugend. Im vertrauten Umfeld sprechen die Kinder normal und sind emotional zugewandt. Mutismus wird erst bedeutsam, wenn das Kind ausserhalb der Familie nicht kommunizieren kann.
Autismus ist eine tiefgreifende Entwicklungsstörung, die bereits vor dem 3. Lebensjahr auftritt. Miteinher geht eine Beeinträchtigung der sozialen und emotionalen Entwicklung, die Kinder sind auch im vertrauen Umfeld auffällig.